Heute, ein etwas diesiger, leicht windiger Juni-Tag im Jahre 2022, um 9 Uhr früh in Baden : Meine liebe Silvia werkelt in der Küche an unserem eher üppigen Frühstück, während sie den ABBA-Song "The winner takes it all" (zu deutsch : "Der Wiener nimmt wirklich alles !") mit ihrer herrlichen Sopranstimme mitsingt (fehlerfrei), der gerade im Radio läuft. Ja, denke ich mir, es lohnt sich doch zu leben, um solch intime Momente spontanen Glücks und sorgloser Unbeschwertheit zu erleben. Dann die schwere Entscheidung : Frühstück drinnen, - oder doch draußen auf dem noch leicht feuchten Balkon, den vergangene Nacht ein blitz-und-donner-reiches Unwetter heimgesucht hat. Die Antwort geben wieder einmal unsere 3 Kater, die schon ungeduldig auf die Pölster unseres Balkon-Mobiliars warten, um sich darauf einen gemütlichen Vormittag zu machen.
Also Balkon : Während meine Holde das vollbeladene Tablett rausschleppt, mit Semmerln, Butter, Speck und Frühstücks-Eiern, erweitert durch Avocado, Ananas, Müsli und Tee, gefolgt von Striezel und Kaffee, hole ich zu meiner Morgen-Erzählung aus, denn ich bin für die morgendliche Unterhaltung zuständig, während Silvia schweigend den korrekten Ablauf unseres Frühstück-Rituals organisiert.
Ich beginne also meine Erzählung, wie immer nach einer wahren Begebenheit, die meiner Lebens-Richtung einen wichtigen Schwenk gegeben hat :
Vor 30 Jahren, als ich noch als Junggeselle und vielbeschäftigter Maler im 7. Wiener Gemeindebezirk wohnte und öfters mit dem 49er in die City fuhr, gewahrte ich vom Straßenbahn-Fenster aus ein Schild von einem Maler-Atelier und entschloß mich, bei der nächsten Station auszusteigen, und mir dieses aus der Nähe anzusehen. Kurz entschlossen trat ich ein und traf auf einen Maler an der Staffelei, der an einem ziemlich großen Gemälde arbeitete, einer wahrlich aufwendigen Komposition, in der Hand einen sehr, sehr feinen Pinsel, mit dem er die allerfeinsten Linien zog.
Ich war wie erschlagen. Gerade hatte ich ein großes Gemälde, meinen "Geigenspieler" beendet, und mein Gynäkologen-Kunde Dr. G. hatte mir bereits 35.000 Schillinge dafür geboten. Damals, Anfang der 90er-Jahre kostete meine Atelier-Miete im 7. Bezirk in Wien 700 Schillinge für 50 m² und 3.200 Schillinge zahlte ich monatlich für meine 90 m² Galerie im 3.Stock desselben Hauses, mit schönem alten Parkett, den in wiener Altbauten üblichen hohen weißen Flügeltüren und 4 großen Fenstern, die die beiden Ausstellungs-Räume in ein mildes, helles Licht tauchten. Zudem hatte ich natürlich noch eine nigel-nagel-neue, top-moderne Beleuchtungsanlage installiert. Eine riesige Deko-Staffelei stand in der Präsentations-Ecke, auf der ich das jeweils neueste Werk meinen Kunden vorstellte.
Die Wahrheit ist, wenn man 2 Monate Tag und Nacht an einem Bild rumpinselt, dann geht es einem spätestens nach 1 Monat derart auf die Nerven, dass man es am liebsten aus dem Fenster schmeissen würde, - zumindest ich.
Der Maler, den ich besuchte hieß, - und heißt immer noch LUIGI LA SPERANZA. Ein Mensch von außerordentlichem Können und einer nicht-enden-wollenden Geduld. Er gestand mir, dass es mindestens 6 Monate dauern würde, um das Werk zu finalisieren und es dann 80.000 Schillinge kosten würde.
Oh Gott, dachte ich mir, das ist doch alles völlig verrückt ! 6 Monate im Maler-Bergwerk, Tag für Tag, über Stunden, und am Ende gibts 13.000 Schillinge im Monat ? Wie soll man davon leben ?
Wie schon gesagt, Luigi ist wirklich ein absolut exzellenter Maler, seine Kompositionen haben Hand und Fuß, im wahrsten Sinne des Wortes, er beherrscht die Formen, sein Kolorit ist absolut stimmig, und dass er ein Meister seines Faches ist, steht völlig außer Zweifel.
Nach dem Besuch war ich völlig fertig, ging nach Hause in mein Atelier, setzte mich in meinen Fauteuil und dachte nach : "Nein, SO NICHT ! Ich schaff das nicht mehr, das dauert alles viel zu lange ! Diese Vorzeichnungen, dieses Ausmalen der einzelnen Bildteile, vorher das Präparieren des Bild-Trägers, (ich malte von Anfang an auf Kupfer, denn Leinwand gibt nach, und ist überhaupt FÜRCHTERLICH !), dieses ganze Procedere geht mir aber SOWAS von auf die Nerven. DIESE Malweise ist NICHT kompatibel mit meinem Nerven-System, das muss alles viel, viel schneller gehen, viel spontaner, viel unmittelbarer. Fazit und Entschluß : ENDE dieser ÄRA !"
Und so war es auch, - NIE WIEDER malte ich meine Bilder in DIESER Art, in der Art des „Geigenspielers“ ! Und LUIGI gab den Ausschlag zu diesem Spurwechsel.
Natürlich weiß er das gar nicht, kann sich mit Sicherheit nicht einmal an unsere Begegnung erinnern, - aber dieses Treffen war enorm wichtig für mein weiteres Maler-Leben.
Und natürlich hat er bis heute meine Bewunderung für seine Ausdauer, sein Breughel-sches Durchhalte-Vermögen, seine Beständigkeit und sein Nicht-Verzweifeln an der Langsamkeit.
Doch für mich kam das nicht mehr in Frage.
Am nächsten Tag begann ich ein neues Bild : Ohne Vorzeichnung, ohne Plan, mit unmittelbarer Spontaneität, mit meinem reinen, angeborenen Duktus, eine völlige Improvisation, Intuition, nur meiner inneren Stimme gehorchend, natürlich mit dem unbedingten Willen, etwas Feines, aber vorallem Dekoratives hinzuzaubern, ein Werk, dem man die Malfreude des Klecksers ansieht, und das dennoch nicht schlampig oder in den Formen und Farben unstimmig daherkommen darf.
In 3 Tagen malte und vollendete ich mein kleines Gemälde "Waterkant", mit einem kleinen Segelschiff und einem hübschen roten Leuchtturm drauf, und verkaufte es innert einer Woche für sage-und-schreibe damals stolze 30.000 Schillinge.
Und schuld daran war LUIGI. Durch ihn kam der Entschluß meine bisherige Malweise völlig über den Haufen zu werfen und es auf eine völlig andere Art zu versuchen, die viel, viel mehr meinem nervlichen Naturell entsprach. Und wie heißt es doch in der Bibel : „Und Gott sah, dass es gut war.“ Nun, es war wohl nicht der liebe Gott, der zu mir sprach, sondern mein untrügliches, ästhetisches Bauchgefühl. Ich wußte : "Ich bin angekommen !" - Abgesehen von dem vielen Geld, das es dabei zu verdienen gab, denn Zeit ist Geld, besonders in so einem Knochen-Job wie der Ölmalerei, so war es auch die Übereinstimmung meiner Ungeduld mit einem möglichst schnellen und überzeugenden Mal-Ergebnis. Ich dachte nur mehr Eines : "BINGO !"
Jetzt, als älterer, erfahrener Maler-Meister kann ich dieses Geheimnis lüften und ohne Scham darüber berichten, kann sagen, wie ich zu mir und meiner Malweise fand, die meine Sucht nach einem schnellen, aber überzeugenden Mal-Resultat befriedigte und Rücksicht auf meine ungeduldige Seele und meine materiellen Bedürfnisse nahm.
Danach malte ich hunderte Bilder mit derselben Schnell-Mal-Technik, akribisch genau am Ende in der Finalisierungs-Phase, aber flockig-flott beim ersten spontanen Farb-Auftrag. Herrliche Gemälde, die in den 90er Jahren damals schnell und relativ teuer zu verkaufen waren, und es mir ermöglichten, täglich weiter zu experimentieren, mein Handwerk zu verfeinern, und dabei viele Menschen, vor allem aber auch mich selbst, glücklich zu machen. Danke LUIGI LA SPERANZA !
Web : https://www.lasperanza.com/